Forschung

Forschungsprojekt „Entwicklungswege der Turmuhr im Hoch- und Spätmittelalter in Europa“

Bereits kurz nachdem ich die Turmuhr von Schriesheim untersucht hatte stellte ich fest, daß Gestell und Räderwerk zum Teil völlig verschiedene konstruktive, als auch formale Merkmale aufwiesen. So unterscheiden sich Gestell und Aufbau des Räderwerkes völlig von gleichen Merkmalen früher Turmuhren deutscher Provenienz. Die Räder selbst entsprachen, bis auf die Bodenräder und Spuren der ursprünglichen Speichung, eindeutig den Merkmalen deutscher Turmuhren. Diese Erkenntnis konnte einerseits zur Erhellung der Geschichte der Schriesheimer Turmuhr beitragen, brachte mich aber andererseits auf die Idee, daß die Entwicklung der Turmuhr in Europa im Mittelalter zwei Wege nahm, mit Merkmalen die rein konstruktiv zwar weitgehend gleich waren, sich aber in der Konzeption des Räderwerkes und auch formal deutlich unterschieden. Nämlich eine Entwicklung, die ausgehend von England sich einerseits nach Frankreich und die romanischen Länder, und andererseits nach Deutschland bewegte .

Gespräche mit Fachleuten aus Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz zeigten, daß dieses Thema sowohl in der Literatur kaum bearbeitet wurde und das vorhandene Wissen, aus veralteten, nicht mehr aktuellen, teils kontroversiellen  Vorstellungen besteht. So entstand die Idee, ein Forschungsprojekt in die Wege zu leiten, das dieses Thema erhellen soll. Erste Kontakte mit Fachleuten der betroffenen Länder und Interessierten haben bereits stattgefunden und diese haben eine Mitarbeit zugesagt.

Erste Erkenntnisse werden im kommenden Jahr publiziert und zur Diskussion gestellt.

 

Eine gotische Turmuhr aus Litzelsdorf

Gotische Turmuhr, M. 16. Jahrhundert aus der Pfarrkirche in Litzelsdorf

Die Turmuhr aus der Pfarrkirche Litzelsdorf im Südburgenland der Uhrenstube (ein Foto ist in den  Mitteilungen  Nr. 9, Dezember 2011 zu sehen), ist zwar bereits Ende vergangenen Jahres in die Sammlung der Uhrenstube gekommen, doch erste Forschungen über diese Uhr haben  interessante Ergebnisse gebracht, über die ich gerne berichten möchte.

Als ich die Uhr das erste Mal sah, dachte ich sofort, wie kommt eine so große, gotische Turmuhr in eine Dorfkirche, die um 1830 erbaut wurde. Die große, sehr gut erhaltene Turmuhr aus der Mitte des 16. Jahrhunderts mit Viertelstundenschlagwerk, die Anfang des 18. Jahrhunderts auf Spindelhemmung mit Kurzpendel umgebaut wurde, mußte also aus einer anderen Kirche stammen und erst im 19. Jahrhundert hierher gebracht worden sein.

Erste Nachforschungen in den Visitationen (Kontrollberichten) des ungarischen Bischofs Kazó ergaben (Litzelsdorf gehörte damals noch zu Ungarn), daß noch zum Ende des 17. Jahrhunderts auf einem kleinen Hügel (vermutlich dem jetzigen Standort der Kirche) eine kleine Holzkirche stand. 1764 wurde diese Holzkirche abgetragen und durch einen Bau aus Stein mit einem Turm ersetzt. Den Hochaltar für diesen Bau, einen Kreuzweg und eine Monstranz stiftete das Augustiner Chorherrenstift Vorau in der Steiermark.  Mit dieser Stiftung dürfte auch diese Turmuhr nach Litzelsdorf gekommen sein, denn sowohl das Werksgestell, als auch das Räderwerk dieser Turmuhr weisen in ihrer massiven Ausführung auf die Arbeit eines Turmuhrmachers in der Steiermark hin.

Der nächste Gedanke war, dieses große, massive Eisenwerk stammt aus einem Gebiet, in dem Eisen nicht so teuer war – also vermutlich aus der Steiermark mit dem Erzberg. Diese Überlegung deckt sich auch mit Quellen im Archiv des Stiftes Vorau, wonach der Pöllauer Uhrmacher Johann Fuchs 1752 beauftragt wurde, eine Turmuhr für das Stift anzufertigen. Durch diese Turmuhr, die heute noch in Betrieb ist, wurde das alte gotische Werk nutzlos und ging mit der erwähnten Stiftung nach Litzelsdorf.

 

Die Turmuhr von Schloß Aichberg bei
Rohrbach an der Lafnitz, Steiermark

Turmuhr, Renaissance aus Schloß Aichberg, bez. 16-FH-82

In der Sammlung der Uhrenstube Aschau befindet sich eine kleine Turmuhr die mit F – 1682 – H bezeichnet ist.  FH, mit diesem Namen, Franz Hiemer, Franziscus Huemer, Hirmer und vielen anderen Namen scheint dieser Uhrmacher während der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Zunftbüchern der Uhrmacher und den  Archiven der Stadt Graz auf. Im bayrischen Freising geboren, sein Vater war ebenfalls Großuhrmacher, wird er das erste Mal 1657 in Graz erwähnt, wo er von der Zunft forderte, man möge ihm die Meisterstücke vorschreiben, da er bereits 4 Jahre in Graz gearbeitet habe. Nach mehrmaliger Vorsprache, wies man ihn darauf hin, „daß weder alhier in dißer fürstl. Haub Statt Gräz noch in gantzen Landt Steyer an der grossen Uhrmacherarbeit einicher Mangel, …, dahero ist er dißmahl von seinem Peto abgewißen worden.“ 1658 gab man ihm dann doch die Meisterstücke an und Mitte 1659 war deren Beschau. Hiemer lieferte seine Meisterstücke mehr als ein halbes Jahr später ab als vorgeschrieben und mußte dafür, und etlicher Mängel an seiner Arbeit wegen, Strafgeld bezahlen. Zwar blieb Hiemer diese Strafe  vorerst schuldig, wurde aber trotzdem als Großuhrmachermeister in die Zunft aufgenommen. 1667 nahm er seinen ersten Lehrjungen, den Sohn eines Schlossers aus Freistadt in Oberösterreich auf. Hiemer bildete im Verlauf seiner über 40-jährigen Handwerkstätigkeit 13 weitere Lehrlinge zu Großuhrmachern aus.

In dieser Zeit dürfte es tatsächlich nicht sehr viel Arbeit für Uhrmacher gegeben haben, denn um 1676 war Hiemer der einzige Großuhrmacher in Graz. Als im gleichen Jahr  der Großuhrmacher Franz Viezdombbeim Magistrat um die Übernahme der Werkstätte des verstorbenen Uhrmachers Freynschlag  ansuchte, beschied ihm der Magistrat, daß in der Stadt Graz „die Werkstat des Hiemer für den Bedarf genüge“.

Hiemer hatte, bzw. verursachte während seiner Tätigkeit als Großuhrmacher immer wieder Probleme, sei es daß er mit seiner Arbeit stark in Verzug geriet, oder wegen Mängel an seinen Uhren. So wurde ihm am  23.9.1694 von der Hofkammer befohlen, die alte Hofuhr (die Turmuhr der Grazer Burg) sofort fertigzustellen, widrigenfalls er mit vierzehn Tagen Arrest bei Wasser und Brot im Rathaus abgestraft würde. Hiemer sollte die  von Hyronimus Müller 1565 gebaute Uhr mit Waaghemmung, die im Bericht der Hofkammer „alß ein altes ruiniertes Werckh“ beschrieben wird, durch  „1 Perpenticel auf ein beständiges zuzuerichten“, also auf Spindelgang mit Kurzpendel umzubauen. 8 Monate später, nach mehrmaliger „Compelle“ (Antreibung) durch die Hofkammer, lieferte Hiemer die Uhr.

1678 bekam Hiemer den Auftrag zum Bau der Turmuhr des Grazer Landhauses. Diese ging anfangs recht gut, da der Grazer Landeshauptmann 1679 bemerkte, daß alle Uhren falsch gingen außer der Landhausuhr, die „ein Jahr vorher ganz neu gemacht worden“. Doch fünf Jahre später streikte sie bereits. Ebenfalls schlecht, oder nicht funktionierte die von ihm angefertigte Ratsstubenuhr. So mußte er sich verpflichten, falls er die Uhr nicht richten könne, damit einverstanden zu sein, daß man sich an seinem Jahresgehalt als Uhrrichter, ja notfalls an seinem Hab und Gut schadlos halten dürfe. Ob nun Hiemers Fähigkeit als Handwerker zu wünschen übrig ließen, sein Eifer nicht sehr groß war, oder ob er einfach überlastet war, kann aus den heute bekannten Quellen nicht geschlossen werden.

Hiemer hatte vier Kinder, vielleicht auch mehr, jedenfalls wurden seine beiden Söhne Franz jun. und Carolus (Joseph Carl) ebenfalls Großuhrmacher, eine der Töchter heiratete 1702 den Großuhrmacher Sylvester Funk, den Schöpfer der großen Turmuhr im Uhrturm auf dem Schloßberg. Am 29. 11.1701 konnte man im Sterbebuch der Stadt lesen, „Franz Hiemer, Großuhrmacher unter dem Muhrtor, gestorben“.

 

Zwei interessante Turmuhren aus Oberösterreich

Turmuhr aus Oberösterreich, Mitte 19. Jahrhundert, Schlagwerk mit der Steuerscheibe

Während der Exkursion der Mitglieder der AFAHA in der Uhrenstube im Jahr 2011 erweckte eine Turmuhr aus Oberösterreich, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts das besondere Interesse der Besucher. Abgesehen vom Gehwerk, das ohne Zwischenrad auf das Stiftenrad der Hemmung wirkt, hat das Schlagwerk mit Viertel- und voller Stunde nur eine Seiltrommel.

Diese außergewöhnliche Turmuhr konnte ich vergangenes Jahr am Flohmarkt in Graz erwerben. Das schmucklose Werk mit offenem, prismatischem Gestell aus Bandeisen und nebeneinanderliegendem Geh- und Schlagwerk für die volle und die Viertelstunde hat mit Ausnahme der Steuerscheibe und des Steuerhebels aus Gußeisen für das Schlagwerk, durchwegs noch geschmiedete Räder. Die beiden Rahmen sind mit Distanzpfeilern aus Rundeisen miteinander verschraubt. Abgesehen vom Gehwerk, dessen Stiftenrad ohne Zwischenrad direkt auf das Bodenrad wirkt, ist vor allem die Konstruktion des Schlagwerkes bemerkenswert.

Turmuhr aus Oberösterreich,
Ende 20. Jahrhundert

Ähnlich wie bei einem Surrerwerk sind die Auslösestifte für beide Funktionen beiderseits des Hebstiftenrades (die eine Hälfte der einen Seite des Hebstiftenrades hat 10 Stifte für die Viertelstunden, die andere Hälfte der anderen Seite 12 Stifte für den Stundenschlag) angebracht. Während die Viertelstunden mit einer kleinen Schloßscheibe über eine nicht verschiebbare Seilhebelwelle geschlagen werden, wird die Schlagsteuerung der vollen Stunde über eine Steuerscheibe und verschiebbarer Seilhebelwelle gesteuert. Gleichzeitig koordiniert diese Steuerscheibe auch den Einsatz des Viertelstundenschlages.

Nun konnte ich ein anderes Werk der gleichen Konstruktion, jedoch etwas kleiner und mit gefrästen Rädern aus Messingguß erwerben. Dieses Uhrwerk, das in einem kleinen Uhrkasten aus Holz untergebracht stammt ebenfalls aus Oberösterreich und dürfte etwa aus der Zeit um 1900 entstanden sein.

Mein Freund, Uhrmacher Werner Kaill, der mir stets in technisch komplizierten Fragenweiter hilft, hat nun ein weiteres Werk dieser Bauart in Schloß Achleiten in Oberösterreich entdeckt.  Dieses Werk ist etwas größer und hat eine Ankerhemmung mit unzählig vielen kleinen Zähnen.

Über diese Uhren und ihr außergewöhnliches Schlagwerksprinzip, von dem derzeit in Fachkreisen kein Gleichstück bekannt ist, wird in einer der nächsten Publikationen  berichtet werden.